Energiewende ist Kulturwandel
Klimakrise, technologischer Fortschritt und politisch-regulatorische Anreize haben die erneuerbaren Energien als zukunftsweisende Lösung der Energieversorgung an die erste Stelle gesetzt. Die Energiewende ist in Deutschland beschlossene Sache. Der Atomausstieg wird bis Ende 2022, der Kohleausstieg bis spätestens 2038 vollzogen sein. Auch wenn letzterer unserer Meinung nach deutlich früher erfolgen könnte und über das „Wie“ heftig gestritten wird. Die Neugestaltung des Energiesektors hin zu einer dezentralen, bürgernahen, umweltverträglichen Versorgung ist vielerorts auf dem Weg. Aber geht das alles schnell genug?
2021 lag der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Strommix laut Umweltbundesamt bei 41,1 %1– und sinkt damit im Vergleich zum Jahr 2020 deutlich um 4,1 Prozentpunkte, obschon der Trend in die entgegengesetzte Richtung gehen müsste. Denn: Die Ampelregierung will laut Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP den Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien bis 2030 auf bis zu 80 % steigern.
Immer lauter fordern weite Teilen der Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine schnellere Dekarbonisierung des Energiesektors. Bürger*innen haben in Eigeninitiative viele genossenschaftliche, dezentrale Windkraft- und Photovoltaikanlagen geschaffen. Parallel dazu stellen große Energiekonzerne schrittweise ihre Geschäftsmodelle um und kooperieren mit bürgernahen Energieprojekten. Eine Neugestaltung des Energiesektors hin zu einem dezentralen, bürgernahen Ökosystem ist somit vielerorts bereits Realität. Parallel dazu stellen große Energiekonzerne schrittweise ihre Geschäftsmodelle um und kooperieren mit bürgernahen Energieprojekten. Das stimmt hoffnungsvoll.
Der Netto-Zubau von Windkraftanlagen im Jahr 2021 (1,7 Gigawatt)2 ist im Vergleich zum Rekordjahr 2017 (4,8 Gigawatt Netto-Zubau)3 um fast 65 % gesunken. Gründe dafür sind die weiterhin vorhandenen Abstandsregelungen, ein problematisches Fördersystem und lange Genehmigungs- bzw. Klageverfahren. Um das bisher formulierte 65-Prozent-Ziel für erneuerbare Energien der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssten beispielsweise Windkraftanlagen mit einer Leistung von jährlich mindestens 4.000 Megawatt Onshore4 neu errichtet werden. Im Hinblick auf das ambitioniertere Ziel der Ampelregierung (80 % Anteil erneuerbare Energien am Strombedarf bis 2030) müsste der jährliche Zubau voraussichtlich noch deutlich zulegen.
Und in dem ganzen Hin und Her kommt als Wiedergänger der Diskurs um die „positive Klimawirkung“ der Atomenergie. Könnte nicht die vermeintlich „emissionsfreie“ Kernkraft schneller und günstiger dazu beitragen, den CO2-Ausstoß zu mindern als der Neubau von umweltverträglicheren Kraftwerken? Der enorme Druck auf Politik und Gesellschaft führt nicht nur zu einem Umdenken, sondern auch zu einem Rückwärtsdenken.